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Der Raum zwischen den eher uncharmanten Bürogebäuden und Mietshäusern scheint regelrecht aufzuplatzen, wie Rosshaarfüllung überwuchert Gesträuch das Gelände. Ein innerstädtisches Brachland an der Grenze zwischen den ehemaligen Ost- und West-Sektoren. Der Bereich um die Berliner Kommandantenstraße wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört und 1961, mit Bau der Mauer, Teil des Todesstreifens. Heute liegt er noch immer brach, ist aber zugleich Traumfläche für Immobilienspekulationen. Seit 2006 nutzt KUNSTrePUBLIK e. V. die Brache für ortsbezogene Kunstprojekte: den Skulpturenpark Berlin_Zentrum. In diesem Jahr war er zudem einer der Austragungsorte der 5. berlin biennale.
Skulpturenpark Berlin_Zentrum - ein mehrbödiger Euphemismus; besticht das so gar nicht parkähnliche Gelände doch durch den Charakter einer abgelegenen Einöde und verfolgen die künstlerischen Eingriffe das Prozesshafte, Skizzierende. Ein Duktus, den der Skulpturenpark auch als einer der Austragungsorte der 5. berlin biennale behielt, stand er doch „exemplarisch für die konkreten Dialektiken von Wandel und Stillstand im Berlin der Nachwende.“ Berlin in Stadtentwicklung, Geschichte und Architektur sowie die Moderne und ihre Auswirkungen waren Themen der Biennale.
Am Eingang des Geländes begrüßte ein Betonbau mit bequemer Holzbank. Ein in seiner ungenutzten Funktionalität schöner Bau – er lud zum Verweilen ein. Pedro Barateiro Bushaltestelle in sozialistischer Bauweise hatte ein westliches Pendant an der Neuen Nationalgalerie. Der Künstler rekuriere auf die „Psychogeografie eines spezifischen Ortes“ (Katalog), bestimme ihn aber zugleich als transitorischen Raum sowohl zwischen verschiedenen Orten als auch historischen Zeiten.
Und so machte man sich auf den Weg über die Trampelpfade, die das Brachgelände
durchkreuzen. Keine Tretminen, sondern 300 Gruben überzogen einen Teil des
Geländes: Kilian Rüthemann gab einen «gerasterten Blick auf den
geschichtsträchtigen Untergrund des Geländes frei» (Katalog). Inzwischen
hatten sich winzige Biothope in einigen der halbkugelförmigen Löchern
entwickelt, andere waren Hafen für den allseits frei flottierenden Plastikmüll
geworden. Auch dies ein prozesshaftes Statement zum Leben der Stadt. Zunehmend
gepackt vom Jagdfieber kämpfte man sich über einen Schutthügel, aus dem eine
Klanginstallation (Susan Hiller) schallte, und durchs Dickicht, in dem sich
die von Ulrike Mohr hierher verbrachten Birkenbäumchen, die sich auf dem Dach
des Palasts der Republik wild eingewurzelten hatten, camouflageartig in die
Landschaft einpassten. An beiden Orten ließen sie – wenn auch nicht Gras, so
doch Grün – über die Historie wachsen.
Tatsächlich ließen sich auch Skulpturen entdecken: Eine höchst fragile, vage
an einen Pavillion erinnernde Metallkonstruktion von Aleana Egan und Ania
Molskas treppenartiges Eisengerüst, das auf einem Video in den Kunstwerken in
Benutzung erlebt werden konnte. Einen hintersinnigen Witz entfaltete die
Stahlplastik „Falte B (Groß)“ von Thea Djordjadze, die an eine der
Stahlplastiken des Konstruktivismus gemahnte, mit denen um 1980 allenthalben
der Stadtraum verschönert wurde, und die sich nun in einem versteckten Winkel
verbarg. Auf den zweiten Blick – nämlich in den Katalog – wollte die Plastik,
bzw. die Künstlerin noch viel mehr.
Alles und noch viel mehr. Das war das Merkmal dieser Biennale. Lautes,
kompromissloses Auftreten ist nicht die Sache der Kuratoren Adam Szymczyk und
Elena Filipovic. Kein Pathos, keine Parolen, sondern das Leise, Nachdenkliche.
Diskursiv die Moderne und ihre Auswirkungen hinterfragen. Aber beginnen
Diskussionen nicht mit Gegensätzen? Hier wirkte allzu vieles watteweich
ummantelt, kompromissbereit zerbröselt. Wie ein Paukenschlag erschien da das
grelle Licht von Cyprien Gaillards "The Arena and the Wasteland": Ein mehrere
Meter hohes Rund aus zwölf leistungsstarken Flutlichtern tauchte Nachts die
umliegende Graslandschaft in erbarmungsloses Licht. Unwillkürlich assoziierte
man an diesem Ort die Flutlichter der innerdeutschen Grenze, zugleich aber
exponierte Gaillard das Interesse der Immobilienspekulanten an diesem
innerstädtischen Sahnestückchen.
Auch Luciana Lamonthe verband mit ihrem Plakatobjekt „Steelkill“ einen Verweis
auf den so schön euphemistisch ausgedrückten Rückbau des Palastes der Republik
und damit einer ganzen Gesellschaftsform – und letztendlich auch auf den
Geschichtsumbau durch Maßnahmen der Stadtentwicklung. Beide Arbeiten erhielten
eine besondere Note durch die auf dem Gelände allgegenwärtigen hell
beleuchteten Werbetafeln, auf denen die hier entstehenden schicken
Mitte-Residenzen angepriesen werden. Sind diese erst einmal entstanden, wird
auch Kateřina Šedá mit ihren Begrenzungen überwindenden und Kommunikation
fördernden Installationen („Over and Over“) kaum noch am Portier vorbei
kommen.
Á propos Mauern: Lars Laumanns Video "Berlinmuren" zeigte Gespräche mit einer Schwedin auf, die sich mit der Berliner Mauer verheiratet fühlt. Seit fast 20 Jahren leidet die bekennende Objektophile am langsamen Sterben ihres Gatten. Absurd die selbstbezogene Haltung, in der die Mauer lediglich als ästhetische empfundenes Objekt und von jeglichem politischen und gesellschaftlichen Kontext abstrahiert gesehen wird. Grotesk und rührend zugleich präsentiert sich diese Frau in Laumans fast verstörendem Video, das einen Einblick gibt in marginale, aber doch mögliche Existenzen.
Möglich, sie zu leben, und möglich, sie aufzuzeigen. Letzten Endes ist Laumans „Berlinmuren“ ein positives Statement für tolerierte Freiheiten wie für Kommunikation und Diskurs. Mauern umgaben jedoch nächstens auch die Kunst im öffentlichen Raum der bb5 – in Form von Security-Mitarbeitern. Eine versicherungstechnische Frage, gewiss. Aber auch eine Frage danach, wie hoch die Diskussionsbereitschaft, Akzeptanz und Toleranz, die die bb5 vorlebte, in der Gesellschaft tatsächlich vorhanden ist. Weitere Erfahrungen hierzu wird die ab September im Skulpturenpark geplante Ausstellungsreihe „Landreform“ bringen.
Adam Szymczyk ist künstlerischer Leiter der documenta 14. Die von der Kunst der bb5 bespielten Brachen in einem der Herzstücke Berlins sind längst bebaut. Security-Mitarbeiter gibt es dort allerdings heute noch - oder wieder.