„Das Sehen macht die Bilder.“ Im Gespräch mit dem Fotografen Detlev Steinberg.

Kategorien: Fotografie

Es ist ruhiger geworden um den Fotografen Detlev Steinberg. Seine Lust auf Abenteuer hat er allerdings in vollen Zügen gelebt: Viele Jahre war er Fotoreporter und Korrespondent der DDR-Illustrierten „Freie Welt“, für die er insbesondere aus der damaligen Sowjetunion berichtet hat. Später dokumentierte er den Abzug der russischen Truppen aus Berlin und Brandenburg. Bislang unveröffentlichte Bilder aus dieser umfangreichen Fotoserie zeigt nun eine Ausstellung und Publikation des Deutsch-Russischen Museums Berlin-Karlshorst.

Herr Steinberg, Sie haben von 1992 an bis zur Abreise des letzten Soldaten im August 1994 den Abzug der russischen Streitkräfte aus Ostdeutschland fotografisch dokumentiert. Konnten Sie dabei für sich Neues entdecken? Aber unbedingt! Die militärischen Gelände der Russen waren ja vollständig abgeschottet gewesen. Die Freundschaft zwischen den Bruderstaaten UdSSR und DDR fand eher offiziell und protokollarisch statt. Kontakte zwischen den Soldaten und den Bürgern der DDR waren selten und nicht unbedingt erwünscht. Welche Erfahrungen haben Sie während dieser zwei Jahre gemacht? Ich habe tatsächlich Neuland betreten. Gerade in Wünsdorf, dem Hauptquartier der Westgruppe der russischen Streitkräfte, habe ich direkten Kontakt nicht nur zu den Offizieren gehabt, sondern auch zu den Soldaten. Es entstand ein sehr vertrauensvolles Verhältnis und ich konnte zum ersten Mal ihren Lebensrhythmus zwischen Paraden, Kampfübungen und privaten Momenten fotografieren. Ich spreche sehr gut Russisch, das half natürlich. Durch dieses Vertrauen sind neben Bildern von der Verladung des schweren Kriegsgeräts auch eindringliche und persönliche Portraits entstanden. Ja, für diese Portraits habe ich mit einer zweiäugigen Rolleiflex gearbeitet. Die hält man ja vor dem Oberkörper, sieht von oben in den Sucher. So kann man direkten Blickkontakt zum Portraitierten behalten. Ich mag die Verbindung, die dabei entsteht. Mir ging es darum, nicht nur das historische Ereignis „Truppenabzug“ zu dokumentieren, sondern auch die Menschen, die dem ausgesetzt waren. Ich habe viel Kameradschaft zwischen den Soldaten erlebt, aber auch Unsicherheit und Zukunftsangst. Diese Männer, oft noch Jungen, gingen ja in ein Land zurück, dass durch die politische Entwicklung der UdSSR gar nicht mehr so existierte, wie sie es kannten. Eine Auswahl dieser Bilder war bereits in Ausstellungen zu sehen. Was ist das Neue an der Präsentation im Deutsch-Russischen Museum Berlin? Ich habe ja mein gesamtes Archiv zum Truppenabzug – das ist wirklich umfangreich – als Leihgabe an das Museum in Karlshorst gegeben. Dort wurde das Material akribisch durchgearbeitet und eine neue Auswahl an Bildern getroffen, die natürlich auch im Katalog abgedruckt sind. Das Museum hat tolle Arbeit geleistet; die Bilder wären sonst noch eine Weile verborgen geblieben. Dafür bedanke ich mich sehr! Als Fotoreporter für die Freie Welt haben Sie nahezu die ganze Sowjetunion bereist. Was hat sie besonders interessiert? Ich habe von 1977 bis 1982 als Korrespondent in Moskau gelebt und war dort vollständig in das Alltagsleben integriert. Allerdings haben mich offizielle Anlässe und Staatsempfänge nie sonderlich interessiert. Ich habe - auch später noch - Reportagereisen durch fast alle Regionen der UdSSR gemacht. Meine Aufgabe war es, Dinge für die Nachwelt zu dokumentieren: Ich war dabei, als die BAM gebaut wurde, die damals längste Eisenbahnstrecke, ich habe Astronauten und die „kleinen Völkerschaften“ fotografiert. Und obwohl mich meine Kollegen für verrückt erklärt hatten, war ich der erste in Tschernobyl, nach der Reaktorkatastrophe. Ich wurde immer wieder aufgenommen, wo andere nicht reingekommen sind. Meine Bilder zeigen eine Welt, die es heute nicht mehr gibt. Und vieles davon hat noch kein Mensch gesehen... In ihrem Archiv schlummert also noch einiges, das auf Entdeckung wartet? Oh ja! Über die Jahrzehnte hat sich Material angesammelt, das noch gar nicht erschlossen ist – und ich selbst werde das auch nicht mehr schaffen. Bei mir hat immer der Mensch im Vordergrund gestanden - abseits des offiziellen Weltbildes und so wie er war, nicht wie er sein sollte. Es gibt immer eine Geschichte hinter der Geschichte und es müssen manchmal viele Jahre ins Land gehen, bevor diese andere Geschichte gesehen werden will. Es hat zwanzig Jahre gedauert, bis sich jemand für meine Bilder aus dem Tschetschenien Krieg interessierte. Heiko Krause kuratierte dann letztes Jahr eine Ausstellung für das Koeppenhaus in Greifswald. Sie waren zu DDR-Zeiten Mitglied der Gruppe JUGENDFOTO BERLIN, die 1969 von Christian Borchert und Ihrem Bruder Uwe Steinberg gegründet wurde. Ja, wir haben uns für einen glaubwürdigen Bildjournalismus eingesetzt. Wir Ostfotografen haben den oft riesigen Spagat zwischen dem, was ist und dem, was sein sollte dokumentiert. Wir haben immer wieder Dinge fotografiert, für die ein gesellschaftliches Interesse bestehen müsste, stellten aber oft das Gegenteil fest. Wir haben die Bilder trotzdem gemacht, um das wahre Leben zu reflektieren – wir haben die Menschen differenziert abgelichtet, jenseits der Jubelparaden. Bisweilen gelang es aber auch, nicht ganz eindeutige Bilder in die Magazine zu bekommen? Es entscheidet doch immer der Moment einer Aufnahme darüber, ob ein Staatsakt als Erfolg oder als Reinfall ins Bildgedächtnis eingeht. Fotos sind aber nicht immer eindeutig zu interpretieren, sie können eine offene und eine versteckten Bedeutung beinhalten - das macht sie ja gerade interessant. Und genau so, wie ich beim Fotografieren den richtigen Augenblick erwischen muss, braucht der Betrachter manchmal das Wissen oder Einfühlungsvermögen, um die nicht so offensichtliche Bedeutung zu erkennen. Es ist doch so: Sowohl für den Fotografen wie auch den Betrachter macht das Sehen die Bilder. Herr Steinberg, vielen Dank!

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