Gundermanns Grube: Kumpels, Kunst und Korruption. Zum Film „Gundermann“ von Andreas Dresen.

Kategorien: Film

Gerhard Rüdiger Gundermann, im Westen als der „singende Baggerfahrer“ belächelt und ansonsten eher unbekannt, galt im Osten als das authentische Sprachrohr nicht nur der Kumpels im Revier. Nun hat Andreas Dresen, der Chronist des ganz normalen Lebens, ihm mit „Gundermann“ einen Film gewidmet. Und zugleich einen beeindruckenden Beitrag über das Leben in der DDR geleistet.

Er war ein Liedermacher aus Hoyerswerda und Baggerfahrer im Lausitzer Braunkohlerevier. Er war ein Idealist, der für den Sozialismus und die Gesellschaftsform der DDR eintrat und ein Mensch, der unverblümt seine Meinung sagte – auch und vor allem gegenüber seinen SED-Genossen. Dennoch arbeitete er seit Ende der 1970er Jahre unter dem Decknamen „Grigori“ als Inoffizieller Mitarbeiter für die Stasi – bis diese die „Zusammenarbeit“ 1984 beendete, Gundermann aus der Partei ausschloss und ihn nun selbst bespitzeln ließ.

„Ich habe auf das richtige Pferd gesetzt, aber es hat nicht gewonnen,“ hat Gundermann einmal gesagt. Immerhin hatte er nach dem Abitur eine Ausbildung zum Politoffizier bei der NVA begonnen, wurde aber hinausgeworfen, weil er kein Loblied auf den Armeeminister singen wollte: Das sei unsozialistischer Personenkult.

Gundermann kehrte zurück nach Hoyerswerda, wurde Hilfsarbeiter im Tagebau und bildete sich zum Facharbeiter – sprich: Baggerführer – weiter. Auch in seinem politischen Engagement ließ er nicht locker: 1977 kandidierte er erstmals für die SED, trat ihr aber immer wieder durch unverhohlene Kritik am realexistierenden System auf die Füße. Trotz wiederholten Ausschlussverfahren hielt Gundermann an seiner Überzeugung für den Sozialismus fest. Ebenso wie an seinem Glauben, als aufrechtes Individuum etwas am sozialistischen System verändern zu können. Genau hier liegt die Tragik dieses Charakters: Die Überzeugung, für das Beste einzutreten, verstrickt ihn in korrumpierende, verräterische Machenschaften und lässt ihn zum Verräter werden.

Dresens Film setzt an dieser Klimax ein: Nachwende, frühe 1990er. Gerade hat sich Gundermann seine neue Band Seilschaften zusammengestellt, mit der er sogar als Vorgruppe von Bob Dylan in Dresden auftritt. Da wird publik, dass er als IM „Grigori“ über Freunde, Arbeits- und Künstlerkollegen berichtet hat. Gundermann ist verwirrt, erinnert sich kaum – ob aus Verdrängung oder fehlendem Verantwortungsbewusstsein lässt der Film zunächst offen. Als die Erinnerung in Form seiner eigenen Täter-Akte vor ihm liegt, ist Gundermann schockiert: „Ich entschuldige mich nicht. Ich kann mir das selbst niemals verzeihen.“

Diese Entwicklung wird erzählt anhand von Schlüsselmomenten, die als spannungsvoll verzahnte Vor- und Rückblenden ein vielschichtiges Bild des Menschen Gundermann entwickeln. Eben das ist das große Gelingen des Films: Gundermann ist und bleibt ein Mensch mit Idealen und Charakterschwächen, voller Leidenschaft und Leichtsinn. Ein Mensch, der – ganz im Sinne Sartres – durch pures Handeln Schuld auf sich lädt.

Dabei entwickelten Dresen und Drehbuchautorin Laila Stieler kein existentialistisches Drama. „Gundi“ wird gezeigt als eulenspiegelhafter Verfechter des Sozialismus, als hartnäckig Liebender sowie als melancholischer Poet mit absurden kleinen Macken. Gerade diese – das Hochstupfen der stets riesigen Brillen, der clowneske Humor und der oft lange, kindlich-staunende Blick sowie natürlich die selbst eingesungenen Lieder – sind es, durch die Schauspieler Alexander Scheer eine großartige Verkörperung des Liedermachers gelingt. So sehr, dass neben ihm die ein oder andere Figur etwas blässlich wirkt.

Gundermann ist ein Mensch, der an Selbstbestimmung glaubt und seine Überzeugungen kompromisslos vertritt. Doch nach der Wende zeigt sich der idealistische Nonkonformist fassungslos gegenüber den Zuschreibungen und Vereinnahmungen anderer: „Nur, weil du ein Fleischerhemd trägst, macht dich das noch lange nicht zum Proleten,“ wirft ein Bandmitglied dem stolzen Baggerfahrer entgegen. Und sein Stasi-Führungsoffizier – raffiniert dargestellt von Axel Prahl – ist der Überzeugung: „Du bist doch einer von uns!“

Was „Gundermann“ von anderen Filmen Andreas Dresens – darunter Sommer vorm Balkon oder Halt auf freier Strecke – unterscheidet, ist eine Bildästhetik, die dem Realitätsnahen, Quasi-Dokumentarischen eine hohe Symbolik beifügt. Der Puppenspieler (überzeugend minimalistisch: Thorsten Merten), über den Gundermann als IM berichtet hatte, ist eine personifizierte Aufforderung zur schonungslosen Selbstreflexion.

Faszinierend und erschreckend zugleich sind die Bilder des Lausitzer Tagebaus. Es ist schwierig, den gigantischen Kohlebagger nicht als Metapher für das ideologische System der DDR zu begreifen: Ein Ungetüm, das sich gnadenlos in die Eingeweide der Gesellschaft gräbt, das tief Verborgene ausbeutet und preisgibt – und dabei nur schwarze Löcher, unfruchtbare Ödnis hinterlässt. Der Mensch als Baggerführer ist dabei nur bedingt in der Lage, das Monstrum unter Kontrolle zu behalten. Bisweilen wird er sogar von ihm verschlungen.

Diesem hochdramatischen, fast übermächtigen Bild setzt der Film ein weiteres, eher ironisches Motiv entgegen: Eine blaue, kurios geformte Obstschale wird von der Stasi als Prämie an ihre IMs überreicht. Fortan fungiert die Glaspräziose als Stigma für Korruption. Ein Stigma, das unkaputtbar bleibt, selbst wenn man es vom Tisch zu fegen versucht.

Gerhard Gundermann starb 1998 unerwartet an einer Hirnblutung. Er wurde 43 Jahre alt. Seine Stasi-Opfer-Akte ist bis heute nicht auffindbar.

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