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Ein Segelschiff, Metapher für abenteuerliche Entdeckungs- und
Eroberungsfahrten, strebt dem fernen Horizont entgegen, während ein - in den
40er Jahren - hochmodernes Passagierflugzeug auf den Betrachter zukommt: das
Reisen ist Tradition, so vermittelt der Flugplan der KLM Royal Dutch Airlines.
Eine Tradition, die die Nachfahren der früheren Weltendecker und -eroberer,
der „Flying Dutch Men“, ebenfalls zum Reisen legitimiert.
Denn auch heute noch gehen wir gern auf Abenteuerfahrt, auf Entdeckungsreise –
auf Glückssuche. Denn nichts anderes verbirgt sich doch in der Urlaubsreise,
die sich zwischen Bildungs- und Horizonterweiterung, Alltagsflucht und Utopie
einer Gegenwelt einpendelt. Denn: das Reisen formt das Selbst und bildet den
experimentellen Geist aus, öffnet Grenzen des Denkens und Wahrnehmens. Im
besten Fall. „Man kann nicht weit genug reisen, um zu sich selbst
zurückzukommen“, sagt Paul Mourand. Reisen ist auch das Finden zu sich selbst,
das Sammeln ureigener Erfahrungen in Bezug auf eine andere Kultur, eine andere
Natur... Reisen ist verwertbares Erlebnis.
In der Tourismusbranche spricht man daher vom Explorativen Erleben als
Idealtyp des Urlaubs, alsovom „suchenden Informieren oder Erkunden des
Besonderen. Ein gelungener Urlaub zeichnet sich dadurch aus, dass er eine
Alternative zum „langweiligen“ Alltag bietet und „wohldosierte“ Reize schafft,
ohne dass er mit Gefahren, Verlusten oder Enttäuschungen verbunden ist.
Die Touristenbranche entwickelte daher Strategien zur Optimierung von Erleben;
Strategien also zur Intensivierung der Reize z. B. mittels gezielter
Informationen, Hinweise und Erläuterungen. Die so genannte „Schule des
Erlebens“ setzt sich zusammen aus verschiedenen Elementen. Da ist erstens der
Reiseführer in persona oder als Buch. Mit ihm übermittelt sich zweitens die
Codexbildung, also die Kategorisierung von Reisezielen: Deutlichstes Beispiel
hierfür ist das System, nach dem u.a. der Baedecker oder der Michelin den
einzelnen Sehenswürdigkeiten eine unterschiedliche Anzahl von Sternchen
zuordnen. So wird dem Benutzer, dem Reisenden auf den ersten Blick eine
Hierarchisierung der kulturhistorisch wichtigsten Orte übermittelt. Zur
Optimierung des Erlebens gehört jedoch drittens auch der Austausch über das
Gesehene. Dieses Element teilt sich nicht zuletzt mit durch die wohl bekannte
Diashow, die zugleich zur Beweisführung des Da-gewesen-seins, des
Dabei-gewesen-seins dient.
Diese drei Punkte zeichnen in umgekehrter Abfolge eine historische Entwicklung des Reisens nach, die im Folgenden zurückverfolgt wird.
Heute dienen Urlaubsfotos oder -filme als authentischer Beweis dazu, dass man
tatsächlich an jenen sehenswerten Orten gewesen ist.
Diese Tradition des Mobilitäts- und Wahrnehmungsnachweises ist in Form von
Reiseskizzen seit dem 16. Jahrhundert bekannt. Immer ging es hierbei um das
Festhalten und mit nach Hause nehmen von neuen Eindrücken, Wahrnehmungen,
Erfahrungen. Hieraus bildete sich bald schon ein Codex dessen, was man gesehen
haben musste. Dieser Codex führte im 18. Jh. zur Etablierung der „Grand Tour“,
einer Initiationsreise, die vor allem der englische Adel zu befolgen hatte, um
sich im gesellschaftlichen Leben behaupten zu können. Die bürgerliche
Bildungsreise erweiterte dann die Grand Tour mit der Forschungsreise als
Tradition der Wissenschaft: sinnliches Erleben wurde kombiniert mit dem
Erfahren des Wissenswerten und kreierte damit ein neues gesellschaftliches
Muss.
Mit dieser neuen Reiseform, der Bildungsreise, veränderte sich der Blick: das
authentische Sehen trat in Wechselwirkung mit dem sinnlichen Wahrnehmen – dem
Entdecken und Staunen - und einer kulturellen und soziologischen Bestätigung –
dem Wissen über das Entdeckens- und Staunenswerte. In diesem Moment erhielt
der Reiseführer seine besondere Bedeutung als Voraussetzung für die bildenden
Wahrnehmung: er lenkte den Blick auf das Sehenswerte und erläuterte zugleich,
was wie gesehen werden sollte.
Die im Reiseführer markierten Sehenswürdigkeiten bildeten bald einen
hilfreichen Kanon; der aber leider auch die individuelle Wahrnehmung der
Reisenden fokussiert und normiert.
„Der Tourismus zerstört das, was er sucht, indem er es findet“, schrieb Hans Magnus Enzensberger schon 1958 in seinem noch immer viel diskutierten Essay „Eine Theorie des Tourismus“ und benennt so die – sehr negativ beschriebenen - Wechselwirkung zwischen der Suche nach der Ursprünglichkeit in der Ferne und der Standartisierung des kanonisierten Sehenswerten.
Eberhard Weyel nun betitelt seine aktuelle Ausstellung mit Landscape ahead! -
und unterstreicht diese „Warntafel“ zur schönen Aussicht schon zum Beginn der
Route mit seinem Gemälde „belle vue“: Hier wird das Piktogramm „schöne
Aussicht“, ein Punkt mit Sehstrahlen also, der ein sehenswertes Panorama in
einem Reiseführer symbolisiert, mit dem Sonnenhut des Plain-Air-Malers
kombiniert. Weyel bildet hiermit eine Hommage an den schweizer Panoramenmaler
Heinrich Keller, der um 1800 die erste Landkarte mit Sternchensystem für alles
Sehenswerte herausbrachte und damit einen Funken des ästhetischen
Landschaftsbildes in die Wissenschaft der Kartographie hinüber rettete.
Denn bis ins 19. Jahrhundert hinein wurde die geographische Karte als eine
Parabel der Malerei aufgefasst, war es doch beider Anliegen, ein Abbild der
Welt zu schaffen. Das Anfertigen von Karten gehörte durchaus zur Aufgabe des
Malers, wie Arbeiten Leonardo da Vincis belegen. Seit dem 17. Jahrhundert
zeichnet sich jedoch eine zunehmende Angleichung der Landkarte an die
allgemeine Systematisierung von Denkmustern (wir sind in der Epoche Kants) ab.
Im 18. Jahrhundert weitet sich dann die Kluft zwischen Karte und
Landschaftsbildnis: Alexander von Humboldt verändert die Auffassung von
Landschaft weg von einer ästhetischen hin zum Wissenschaftlichen. Im 19.
Jahrhundert ist die Loslösung der Karte von Prinzipien der Ästhetik dann
komplett; die Kartographie gilt durch und durch als wissenschaftliche
Disziplin.
Doch trotz vielfältiger Hinweise und Zitate - es ist nicht die reale
Landschaftsmalerei, die Eberhard Weyel in seinen Bildern transportiert. Es
sind – wie Sie schon erkennen konnten - Cover von Straßenkarten und Flugplänen
aus den 30er bis 60er Jahren, einer Zeit zunehmender Mobilität also.
Straßenkarten sind im Grunde der Endpunkt jener langen Tradition der
Landnahme, wie man sie schon beim „Flying Dutchman“ beobachten kann,
einerseits und der Rationalisierung eines imaginären Ansatzes andererseits:
In der eingeebneten, generalisierten und funktionalisierten Straßenkarte ist
wenig Raum für die Landschaft selbst, für ihre Schönheiten, Eigenarten.
Lediglich jene piktogrammartigen, ebenfalls funktionellen Verweise deuten auf
das Schöne, Sehenswerte hin.
Die Visualisierung dieser Eigenschaften, die im mathematischen Raum der
Kartographie keinen Platz mehr findet, übernimmt daher das Cover der Karten;
wobei der jeweilige Zeitgeist deutlich aufscheint: So transportieren zwei
Beispiele aus den 30er Jahren Spaß an der Mobilität; die Begegnung
freundlicher Menschen wird gefeiert, während in den 40-50ern die nostalgisch,
bisweilen vielleicht auch leicht melancholisch verbrämte Landschaft fokussiert
wird; die Ursprünglichkeit der Natur wird sozusagen im feinsten Technicolor
idealisiert – man meint die Zedern rauschen zu hören.
Die 50-60er Jahre weisen zunehmend grafische Abstraktionen und Piktogramme auf
– alles wird leichter, aber auch modulartiger, funktionaler. Man beachte
hierzu die Karte HongKongs, auf der man sich wie eine Schachfigur von einem
Sightseeing-Punkt zum nächsten Event bewegen könnte.
Eine funktionale Hinleitung, eine Gebrauchsanleitung also, bietet auch die
„Tourenkarte mit Photo Führer“ von Agfa (sic!) von 1960-65: Hier werden die
Fotovorlage wie auch die Rahmen als Prespektivenbegrenzungen gleich
mitgeliefert.
Der Schritt vom Landschaftsmaler zum Urlaubsfotografen ist vollzogen.
In seiner Übersetzung, in der Übertragung auf Leinwand und Öl, überhöht
Eberhard Weyel die Cover dieser Pläne. Verstärkt ihre Hinweisfunktion zur
„schönen Aussicht“ , gibt dem verheißungsvollen imago wieder Raum – und
schärft damit zugleich den schmalen Grad zwischen Täuschung und Enttäuschung,
den sie ebenfalls transportieren.
Doch zugleich ist unser Auge geschult – auch die Kunstwissenschaft kann als
Reiseführer dienen – und wir fühlen uns stark erinnert an gemalte
Campbell’s-Suppendosen. Andy Warhols Auseinandersetzungen mit dem Phänomen der
Massenproduktion und deren Vermarktungsstrategien konterkarierten u.a. die
Hoffnungen der Konsumenten, sich durch den Kauf bestimmter Waren – heute würde
man gutdeutsch „Lifestile-Produkte“ sagen – ausdrückten. Die Form der
reproduktiven Malerei verändert, so haben wir gelernt, auch den Inhalt: Das
Versprechen des Objektes wird überhöht und fällt damit um so mehr in Leere
zurück.
Denn die Suppendosen sind ohne Inhalt.
Oder anders gesagt: „C‘est-ci n’est pas une paysage.“
Enzensbergers Tourismusschelte von 1958 – zeitgleich also mit den hier präsentierten Kartencovern - steht an einem vorläufigen Endpunkt eines Prozesses von freudiger Entdeckung und Anbetung einerseits und von Vereinnahmung und Funktionalisierung andererseits. Nun ist es jedoch sehr untypisch für Eberhard Weyel, den Betrachter in einer solch aussichtslosen Sackgasse enden zu lassen - und so gibt er Ihnen die Möglichkeit, Ihre eigene Glückssuche „Continental“ auszuleben, sich ihre eigene Landschaftsutopie zu beschreiben. Als Zeichen dienen Ihnen hierzu neutrale Landschaftsfragmente in Form von Kartenausschnitten, die zu einem fiktionalen Kon-Text, zu imaginären Kontinenten zusammengestellt werden können.
Eine gute Reise!