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The Bespoke Audio Company im südenglischen Hastings baut Vorverstärker nach allen Regeln britischer Handwerkskunst und mit viel Liebe zum Detail. Ein Besuch.
Leise Konfusion. Die Lokführer einer der zahlreichen privaten
Eisenbahngesellschaften Großbritanniens streiken. Ratlos beobachten wir die
Anzeigentafeln in der Londoner Waterloo Station, die wir gerade gen Süden
verlassen wollten. Aber nein – unsere South Eastern fährt, sogar pünktlich.
Bestens.
Der Zug, zu dieser Tageszeit entspannend leer, passiert die unspektakuläre
Seite der Großstadt: Gebäude aus rotem Backstein, schmuddelige Lagerhallen und
Kleinbetriebe. Londons Skyline, die sich noch in leichten Morgendunst hüllt,
wirkt von hier aus weniger faszinierend als fantastisch-bizarr. Bald weichen
die Außenbezirke einem immer stärker um sich greifenden Grün,
sonnenbeschienene Felder und Weiden mit Rindern und Schafen auf rolling hills.
Wir sind auf dem Weg nach Hastings, einem kleinen Seebad an der Südküste
Großbritanniens. Hier fand nicht nur der berühmte „Battle of Hastings“ statt,
bei dem die Angelsachsen 1066 von den Normannen besiegt wurden; die Kleinstadt
war auch Keimzelle technischer Innovationen: In den 1920ern führte John Logie
Baird hier erste Experimenten zur Übertragung von Fernsehbildern durch; auch
Allen Turing, einer der Väter des Computers, lebte zeitweise hier. Heute ist
Hastings Heimatort von The Bespoke Audio Company: Die Firma, bestehend aus
Lucy Gastall und Harry O'Sullivan, macht seit wenigen Jahren mit passiven
Vorverstärkern auf sich aufmerksam. Doch der Reihe nach.
Am Bahnhof Hastings erwartet uns Lucy bereits, quicklebendig und strahlend.
Plaudernd durchqueren wir eine Fußgängerzone mit anheimelnden Altbauten und
weniger gelungenen neueren Baulichkeiten. Lucy verweist auf städtische
Besonderheiten, darunter nicht wenige charity shops: Sie ist eine passionierte
Sammlerin origineller Dinge vom Möbelstück bis zu Urgroßmutters haberdashery
(Kurzwaren, wie ich nachschlagen musste).
Bald haben wir einen Komplex erreicht, dessen zweigeschossige Backsteingebäude
ihre frühere Nutzung durch Handwerksbetriebe erkennen lassen. Heute sammelt
sich hier ein buntes und angenehm bodenständiges Gemisch aus Werkstätten,
Grafikbüros und ähnlichem. Die hellblaue BMW-Isetta in der Einfahrt zum Hof
verrät, dass wir nun am Wirkungsort von The Bespoke Audio Company angekommen
sind: Mit der Isetta war Lucy 2016 zur High End nach München gefahren, wo das
schnuckelige Gefährt schon vor den Messehallen auf die Firma aufmerksam
machte.
Nachdem wir eine schmale Treppe ins Obergeschoss eines der Backsteingebäude überwunden haben, öffnet sich ein lichter Raum mit offenem Dachstuhl. Auf den Holzdielen steht eine alte Ledercouch, die die Besucher mit liebevoller Umarmung begrüßt. Versorgt mit dem obligatorischen und sehr willkommenen Tee schauen wir uns im Raum um: Unübersehbar ist das himmelblaue Motorrad von Motobécane aus den 50ern, dazu passt der verchromte Zigarettenautomat. Im früher von einem Herrenausstatter genutzten Holzschrank sind Arbeitsmaterialien eingeordnet, wohingegen das altertümliche Zahnarzt-Mundspülbecken aus Eisenguss und Glas noch keiner neuen Verwendung zugeführt wurde.
Lucy Gastall und Harry O'Sullivan haben The Bespoke Audio Company vor gut vier
Jahren gegründet. Ihren Vorverstärker haben die beiden von Grund auf neu
entwickelt: „Wie wollten uns nicht durch althergebrachte Denkweisen
einschränken lassen, sondern setzen auf unkonventionelle Lösungen.“, erklärt
Harry, der inzwischen zu uns gestoßen ist.
Beide haben Erfahrungen mit TVCs (ich lerne: passive Vorverstärker mit
Übertrager), die sie durch ihre Arbeit bei Stevens & Billington, dem
Entwickler von Audio-Übertragern, sammeln konnten. Hier begann Lucy im Alter
von 13 mit dem Wickeln von Trafospulen. Inzwischen ist ihr die hierfür nötige
Präzision ins Blut übergegangen. Nun stecken alle Ersparnisse der beiden in
der eigenen Firma: „Wenn du etwas wirklich willst, musst du deine ganze
Energie reinstecken.“, sagt Lucy. Und Energie ist etwas, das der erst
25-Jährigen ganz sicher nicht fehlt. „Wir wollten unsere Ideen unabhängig
entwickeln und realisieren,“ erklärt sie. „Wenn wir Erfolg haben, ist das
unser Verdienst. Einen Misserfolg hätten wir natürlich genauso selbst
verschuldet.“
Wir schauen den beiden bei der Arbeit zu. Die Arbeitsplätze sind pragmatisch gehalten, mich überrascht jedoch eine altertümliche Handpresse: Auch sie dient der Herstellung der Vorverstärker, mit ihrer Hilfe wird der Gerätedeckel mit edlem Holz furniert. Lucy sitzt konzentriert an den Transformern, wickelt einen extrem feinen Kupferdraht um einen Kern aus aufeinandergeschichteten, ultradünnen Metallplatten. Diesen Kern haben Lucy und Harry selbst entwickelt und auch mit den Spulenwindungen experimentiert – so lange, bis ihre Probehörer ausreichend begeistert waren. Ein leichter Honigduft umschwebt meine Nase, als ich mich über Lucys Arbeitsplatz beuge: Neben mir auf einem Kocher steht ein Topf mit Bienenwachs – keine Hommage an Joseph Beuys, sondern in dieses Wachs werden später die Spulen eingebettet. Dann verlötet Lucy eine für mich ausgesprochen unübersichtliche Anzahl von Kabeln, so dass bald ein wildes Vogelnest entsteht. Das ordnet sie umgehend durch eine aufwändige Kabelbindung, die mich an feine Klöppelarbeit erinnert.
Harry arbeitet unterdessen an einem Gehäuse. Die hierzu nötigen Aluminiumteile werden zugeliefert und in der Werkstatt zusammengebaut. Zuvor glättet Harry die beim Lackieren entstandenen Grate an den Kanten mit einer extrem feinen Feile, die normalerweise zum Polieren von Fingernägeln gedacht ist. Das Zusammenfügen der Aluminiumteile geschieht ohne sichtbare Verschraubung. Es ist ein Prozess, der hohe Aufmerksamkeit verlangt; wird ein Teil beschädigt, müssen alle neu gefräst und lackiert werden. Übrigens stammen fast alle verwendeten Materialien aus der Region um Hastings – das Bienenwachs ohnehin.
Zu beobachten, wie sorgsam, ja hingebungsvoll die Geräte in Handarbeit
entstehen, überrascht und beeindruckt mich. Meine privaten Räume werden nicht
gerade von High-End HiFi-Produkten verziert – ich weiß guten Klang durchaus zu
schätzen, aber die meisten dieser Geräte gefallen mir schlichtweg nicht. Kaum
etwas, mit dem ich meinen Lebensraum teilen würde, zumal die Preise ja auch
ein gewisses Engagement voraussetzen. Persönliche Beteiligung ist allerdings
etwas, das ichhier auf verschiedenen Ebenen entdecke: „Guter Klang ist meiner
Meinung nach vollkommen subjektiv.“, erklärt Lucy (vielleicht im Gegensatz zu
manch anderer Meinung). „Wir richten hier also alles für die Ohren – und Augen
– des jeweiligen Kunden aus.“
Individualisten dürften sich durch The Bespoke Audio Company in jedem Fall
angesprochen fühlen. Wie der Name schon sagt, entstehen die Vorverstärker im
Sinne eines eigens angefertigten Maßanzugs. Technische Notwendigkeiten wie die
Zahl der Anschlüsse und ähnliches können Kunden ebenso wie gestalterische
Wünsche selbst festlegen. Das kann über einen Konfigurator auf der
Firmen-Website geschehen, meist aber beginnt schon hier der persönliche
Kontakt zu den Herstellern. Sind alle Spezifika geklärt, machen sich Lucy und
Harry an die Arbeit und lassen das Gerät in ungefähr fünf Wochen entstehen.
Eine Zeit, die man nicht vor Ungeduld zappelnd verbringen muss, denn mittels
wöchentlicher Bulletins per Email wird der Kunde durch Fotos und
Videoaufnahmen in den Entstehungsprozess seines neuen Hörgefährten einbezogen.
Ein nice to have könnte man sagen, aber neben der Freude an den Fortschritten kann der Kunde hier auch nachvollziehen, wie ernst die beiden ihren Job nehmen. So sieht der Kunde das Wickeln der Spulen, die ordentlich zusammengehäkelten Kabel und wie das Bienenwachs einfließt. Denn merke: Es gibt Menschen, die ihre Geräte nicht selbst öffnen, um mal nachzusehen, ob alles „richtig“ gemacht wurde. Und die würden andernfalls das wirklich sorgsam erarbeitete Innenleben ihres Vorverstärkers niemals sehen. „Wenn der Kunde das alles normalerweise gar nicht sieht,“ frage ich Lucy, „warum dann dieser große Aufwand?“ Ihre Antwort ist einfach und eindeutig: „Weil es die richtige Art ist, es zu tun.“
Das Unternehmen beweis Mutt: Akkurate Handarbeit in sehr hoher Qualität, zeitintensive Kundennähe und demzufolge ein niedriger Output. Obwohl Harry und Lucy weitgehend auf Distributoren verzichten, bleibt ihre Marge doch eher niedrig. Dennoch trägt sich die Firma nun langsam selbst - dank minutiöser Kleinarbeit und der festen Überzeugung, das Richtige zu tun. Allerdings investiert The Bespoke Audio Company auch konsequent in ihren öffentlichen Auftritt. Als sie das erste Mal auf der High End München präsent war, war die Firma erst ein halbes Jahr alt. „Eine nervenaufreibende Phase,“ lacht Harry, „die letzten Kinderkrankheiten konnten wir erst zehn Tage vor Messebeginn lösen.“ Dennoch: „Wir wollten unser Produkt gleich auf der weltweit wichtigsten HiFi Messe präsentieren, um sofort ein breites internationales Publikum zu erreichen. Seither haben wir jedes Jahr dort ausgestellt.“
In München habe ich Lucy übrigens 2016 das erste Mal getroffen und war gleich angetan von der sympathischen jungen Frau – eine Rarität im von Männern dominierten Audio-Bereich. Darauf angesprochen nickt die Unternehmerin: „Es gibt definitiv zu wenige Frauen in der Audiobranche.“ Dennoch gibt es diese Frauen, wie das Treffen der „Women in Audio“ beweist: Ein lockerer Zirkel, der sich immer dann zusammenfindet, wenn sich – zum Beispiel anlässlich einer Messe – eine Gelegenheit ergibt. Dabei werden erstaunlicherweise nicht nur Erfahrungen in den Bereichen Technik und Geschäft ausgetauscht, sondern es wird hauptsächlich über Musik gesprochen. Auch das scheint mir durchaus eine Rarität zu sein - natürlich könnte ich mich da auch irren... Aber zur Beruhigung: Es gab keine Hinweise darauf, dass sich dieser Zirkel darauf eingeschworen hat, die Macht im Audio-Bereich aus den Händen der Männer in die der Frauen zu übertragen.
Lucy selbst besitzt übrigens gar keine HiFi-Anlage, sie gibt ihr Geld lieber für Live-Konzerte aus. Das gleicht Harry gewissermaßen wieder aus: Als ausgebildeter Tontechniker betreibt er ein kleines Tonstudio, in dem lokale Musiker Aufnahmen machen. Darüber hinaus betreut er Konzerte auf großen Festivalbühnen und in Pubs. Und wie es unser Glück will, ist es heute Abend wieder so weit: Nach einem sehr unterhaltsamen und wohlschmeckenden dinner im Schatten des Castle Hill – Historisches hat Hastings auch zu bieten – steuern wir den Pub an, in dem der Gig stattfindet. Voll, laut und lustig geht es hier zu und Harry hat einiges zu regeln. Es ist ein großartiger Abschluss für einen spannenden Tag! Leicht trunken und allerbester Stimmung folgen wir zu guter Letzt der wellenumspielten Strandpromenade bis zu unserem viktorianisch eingerichteten B&B. Hier sinken wir ermattet in ein feudales, von einem Baldachin überschattetes Bett und träumen von Kupferdraht und Bienenwachs.